Die Gottespartitur

© Berlin Verlag

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Gabriel Pfeiffer ist ein erfolgreicher Literaturagent, der nach einem Herzinfarkt depressiv und entkräftet durch das Leben geht. Auf der Frankfurter Buchmesse gibt ihm ein Schüler namens Matthias einen Brief. Matthias deklariert, einen möglichen Gottesbeweis gefunden zu haben. Pfeiffer steckt das Schreiben ungelesen in die Aktentasche, da er den jungen Mann nicht für voll nimmt.

Als Pfeiffer einige Tage später in der Zeitung liest, dass ebenjener Seminarist in einer bayerischen Dorfkirche tot aufgefunden wurde, ist seine Neugier geweckt. Er nimmt sich dem Brief an und erfährt so, dass Matthias glaubte, eine bedeutende Entdeckung gemacht zu haben. Beim Studieren des Reisetagebuchs des englischen Kunsthistoriker Charles Burney habe er Hinweise darauf gefunden, dass Burney im 18. Jahrhundert nicht an einer Geschichte der Musik geschrieben hat. Stattdessen war dieser auf der Suche nach der Gottespartitur. Spiele man die Partitur, werde einem Gott offenbart, dafür bezahle man jedoch mit dem Leben.

Nach der Buchmesse mietet Pfeiffer daher ein Auto und fährt nach Gödelsburg, um dem mystischen Tod von Matthias auf den Grund zu gehen. Dort erwarten ihn bereits Herr Musiak, Regens der lokalen Klosterschule, und die als Jungfrau geweihte Sekretärin. An Matthias Beerdigung trifft Pfeiffer auch auf dessen Mutter, die ihm zu verstehen gibt, dass ihr Sohn gestorben sei, weil Gott dies so gewollt habe. Pfeiffer überkommt das seltsame Gefühl, dass sie alle etwas zu verbergen haben. Seine Vermutung bestätigt sich, als er merkt, dass sie angestrengt versuchen, seine Suche nach Matthias Todesursache und der Partitur zu erschweren.

 

„Also: wäre es, theoretisch, denkbar, dass alle Menschen, also wir alle, ohne es zu wissen, die Erinnerung an dieselbe Musik in uns tragen – wie einen schlafenden Computervirus sozusagen […]?“ (S. 243)

Edgar Rai hat in Hessen Musikwissenschaften studiert. Rais Überlegungen zum Tötungspotential der Musik und zu einem universalen musikalischen Gedächtnis sind spannend zu lesen. Man merkt, dass sich der Autor in einem ihm bekannten Gebiet bewegt. Auch in der Theologie scheint er kein Laie zu sein. Die Diskussionen der Figuren zur Verhandelbarkeit von Gottes Wort und die schweren Zeiten des Glaubens regen zum Nachdenken an. Die Idee einer Partitur, die Gott selbst offenbart, fand ich zudem äusserst faszinierend.

Leider weist das Buch, trotz seiner spannenden Thematik, diverse Schwachstellen auf. Rais Hauptfigur scheint nie auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Gabriel Pfeiffer pflegt derart viele Kontakte, dass ihm alles in den Schoss fällt. In nur wenigen Tagen ist er zwischen Deutschland und London hin- und her gejettet und ist dem Rätsel auf die Schliche gekommen. Krimi- und Thrillerfans werden Spannung vermissen.

Rai versucht dem Roman und seiner Hauptfigur mehr Tiefe zu verleihen, indem er Pfeiffers Jugend mit quälenden Jahren in einem katholischen Internat ausschmückt. Diese haben ihn dermassen traumatisiert, dass ihm beim Anblick jeder Kirche beinahe die Luft ausgeht und er von starken Asthmaanfällen geplagt wird. Was Pfeiffer anfangs zu mehr Menschlichkeit verhilft, ist irgendwann ausgeleiert, besonders, da er ansonsten keine anderen psychischen oder physischen Schwächen aufweist.

Die Gottespartitur hat mich sehr an die Bücher von Dan Brown erinnert – ein männlicher Privatermittler, der eine kulturhistorische Verschwörungstheorie zu bewahrheiten versucht. Der Mythos einer Orgelpartitur, den Rai an wirkliche Personen der Vergangenheit knüpft, dient als Grundgerüst der Story. Die Nebenfiguren wissen meist mehr, als sie zugeben und es ist schwer zu erkennen, welches Interesse sie selbst am Fall haben. Weshalb wird Pfeiffer in die Mariengrotte eingesperrt? Wer stahl den Brief des Seminaristen aus der Umhängetasche während des Gesprächs zwischen Pfeiffer und dem Rektor der Schule? Jemand scheint Pfeiffer an seinen Recherchen hindern zu wollen. Dennoch könnte Rai noch viel von Brown lernen. Die historischen Gegebenheiten von Charles Burneys Aufzeichnungen hätten beispielsweise erweitert werden können.

Alles in allem ist Die Gottespartitur ein Buch, das spannungsunverträgliche Menschen, wie mich, während der Lektüre fesselt. Sobald man es jedoch fertig gelesen hat, fragt man sich, weshalb man es als so gut empfand. Rais Sätze sind kurz und elliptisch, die Figuren manchmal zu stereotyp gezeichnet. Empfehlen würde ich den Roman trotzdem – Als kurze Ferienlektüre oder an Fans von Konspirationen, die einen Exkurs in den Bereich der Musik wagen wollen.

Cora

(Original)titel: Die Gottespartitur

Autor: Edgar Rai

Verlag: Berlin Verlag